IT-Verträge (und mehr): Kündigungsrecht bei Insolvenz des Vertragspartners nur in Ausnahmefällen wirksam

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Lösungsklauseln bei Insolvenz des Vertragspartners sind nur in Ausnahmefällen wirksam

Ein außerordentliches Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund besteht [….]

  • wenn über das Vermögen des Anbieters ein Insolvenzverfahren eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgelehnt wird [….]

Derartige Klauseln finden sich im B2B-Bereich in Verträgen immer wieder. Auch wenn es um großvolumige Verpflichtungen und langfristige und wichtige Leistungen geht. Denn wer möchte schon wichtige Vertragsbeziehungen mit Vertragspartnern aufrechterhalten, bei denen das Ruder des Unternehmens längst durch einen Insolvenzverwalter übernommen wurde, selbst wenn der Geschäftsbetrieb fortgeführt wird. Was auch viele Vertragsjuristen in Unternehmens-Rechtsabteilungen oft nicht wissen: derartige Klauseln sind in vielen Fällen unwirksam mit der Folge, dass eine Kündigung aus dem Grund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fehlschlägt.

BGH zur Kündigung wegen Insolvenz

Hierzu ein brandaktuelles Beispiel aus der Praxis: Mit seinem Urteil vom 27.10.22 führt der IX. Senat ZR des Bundesgerichtshofs seine Rechtsprechung bezüglich Kündigungsklauseln für den Fall einer Insolvenz in Verträgen fort.
Wozu wurde geurteilt:
Ein Busunternehmer schloss mit den lokalen Behörden Beförderungsverträge für den Transport von Schulkindern. Nach dem selbst gestellten Insolvenzantrag des Unternehmers kündigte die Verwaltung die jeweiligen Beförderungsverträge, unter Berufung auf die den Verträgen innewohnende Klauseln zur Insolvenz des Schuldners, fristlos. Der mittlerweile bestellte Insolvenzverwalter hielt jene Kündigung für unwirksam und klagte bis zur Berufungsinstanz, welche ihm zunächst Recht gab. Daraufhin beschloss die Behörde in Revision zu gehen mit dem Ergebnis, dass das Berufungsgericht nach weiteren Argumentationen der Streitparteien erneut zu entscheiden hat.

Vertrag fortführen oder beenden: der Insolvenzverwalter (und nicht der Vertragspartner) hat die Wahl

In seiner jüngeren Rechtsprechung zur Wirksamkeit von Lösungsklauseln bei Verträgen im Falle einer Insolvenz, tendiert der BGH klar in die Richtung, dass solche Klauseln eher unwirksam sind, da sie das Wahlrecht des Insolvenzverwalters (§ 103 InsO) beschneiden und somit gegen § 119 InsO verstoßen. (Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. November 2012 – IX ZR 169/11). Dies gilt erst recht für Klauseln, die Bestimmungen enthalten Regelungen zu umgehen, welche vor Eröffnung der Insolvenz bestehen. (Vgl. § 112 InsO). Nach dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters steht es allein dem Insolvenzverwalter zu zu entscheiden, ob er noch nicht vollständig abgewickelte Vertragsbeziehungen fortführt oder beendet. Regelungen, die dieses Wahlrecht aufheben oder erheblich beschneiden, sind nach § 119 Insolvenzordnung unwirksam. Das bedeutet, der Vertragspartner kann sich gegenüber dem insolventen Unternehmen (bzw. dessen Insolvenzverwalter) nicht auf sein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund berufen.

Ausnahmen hierzu bilden unter Anderem etwaige Kündigungsklauseln bei Bauvorhaben, weil es dem Auftraggeber regelmäßig nicht zuzumuten ist, an seinem Bauvertrag mit dem bisherigen Schuldner festzuhalten, da das für solche Unterfangen erforderliche Vertrauen in die Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des Vertragspartners durch eine etwaige Insolvenz vernichtet werden kann. (Bundesgerichtshof, Urteil vom 07. April 2016 – VII ZR 56/15). Auch wenn das Gesetz eine Kündigung aus wichtigem Grund zulassen würde, wie beispielsweise im Werksvertragsrecht verankert, kann eine entsprechende Lösungsklausel ausnahmsweise einmal wirksam sein. Hierfür muss eine Interessenabwägung in Form einer Risikoeinschätzung für die einzelnen Vertragsparteien erfolgen und darauf basierend die Bewertung zu einem vom Einzelfall losgelösten, wichtigen Grund gelangen. Es bedarf demnach einer schweren Vertragsstörung um sich auf diesem Wege von seinen Verpflichtungen zu lösen (Busche, MüKo BGB 2023 § 648a Rn.3).

Was für die Praxis mitgenommen werden kann:

  • Lösungsklauseln für den Insolvenzfall in Verträgen können zwar wirksam sein, dies ist jedoch eher die Ausnahme
  • Wenn nicht aus einem klar definierten, wichtigen Grund gekündigt werden kann, sollte über das Berufen auf eine solche Klausel zurückhaltend nachgedacht werden, da selbst in diesem Fall keine Rechtssicherheit besteht; im schlimmsten Fall muss der Vertrag mit einem insolventen Unternehmen fortgeführt werden
  • Der Insolvenzverwalter ist aus naheliegenden Gründen häufig kein begeisterter Adressat für Maßnahmen, die seinen Handlungsspielraum beschneiden

Insbesondere im Bereich der IT hat die Insolvenz von Dienstleistern häufig dramatische Auswirkungen. Insbesondere führt das Insolvenzverfahren oft zu Einschränkungen auf der Serviceebene und zu personellen Veränderungen im Unternehmen. Auf der Arbeitsebene erweisen sich Insolvenzverwalter häufig als schwieriger Ansprechpartner zu technischen oder betrieblichen Fachfragen.

Daher sollte der Aspekt einer möglichen Insolvenz (schon) bei der Vertragsgestaltung berücksichtigt und klug geregelt werden. Das auf den ersten Blick vorzugswürdige Szenario des Kündigungsrechts erweist sich dabei (siehe oben) aber als Irrweg.

Unsere Experten stehen Ihnen bei allen Fragen zur Vertragsgestaltung (insb. bei Softwareentwicklung, Pflege und Wartung, Outsourcing, IT-Betrieb und Beratung) mit jahrzehntelanger Erfahrung und topaktueller Kompetenz durch Rat und Tat und auch mit Verhandlungsgeschick zur Seite. Sprechen Sie uns an. Wir sind gerne für Sie da.

 

 

Verbraucherschutzverbände können gegen DSGVO-Verstöße vorgehen und Gastbestellung muss möglich sein

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EuGH: Verbraucherschutzverbände können gegen  Datenschutzverletzungen klagen.

Wir informieren Sie gerne über zwei sehr wichtige Entwicklungen im E-Commerce-Recht aus dieser Woche:

Der Europäische Gerichtshof hat zunächst mit Urteil vom gestrigen 28. April 2022 mit dem Aktenzeichen C -319/20 entschieden, dass auch Verbraucherschutzverbände wegen Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten Verbandsklagen erheben können. Damit ist die lange umstrittene Frage, ob die DSGVO insoweit eine abschließende Regelung für den Datenschutz darstellt, endgültig und höchstrichterlich entschieden. Bislang haben zahlreiche Fachleute die Ansicht vertreten, dass Verstöße gegen die DSGVO nur durch Aufsichtsbehörden (und Betroffene Personen), nicht aber durch Verbraucherschutz- und Wettbewerbsverbände verfolgt werden können. Das ist jetzt (leider oder zum glück) geklärt. Dem Verfasser liegen bereits Verfahren von Verbraucherschutzzentralen gegen Shopbetreiber vor. Wir empfehlen Shopbetreibern daher, sich mit dem Thema Datenschutz für den eigenen Shop nochmals auseinanderzusetzen. Das betrifft natürlich insbesondere die Verwendung von Cookies, Remarketing-, Targeting- und Trackingmaßnahmen.

Deutsche Datenschutz-Aufsichtsbehörden: keine Gastbestellungsmöglichkeit ist Datenschutzverstoß

Allerdings können sich nach der Entscheidung des europäischen Gerichtshofs die Aktivitäten von Verbraucherschutzbehörden auf die Frage richten, welche Daten bei einer Bestellung überhaupt erhoben werden dürfen. Hierzu gibt es einen brandneuen Beschluss der Datenschutzkonferenz. Die Datenschutzkonferenz ist eine informelle Abstimmungsrunde der deutschen Aufsichtsbehörden für Datenschutz. Diese haben mit dem hier verlinkten Papier zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Verpflichtung zum Anlegen eines Nutzerkontos vor dem Hintergrund der Datenminimierung, wie sie die DSGVO vorsieht, für unzulässig erachten. Zu Deutsch: ein Shop muss die Möglichkeit bieten, ohne dass Anlegen eines Benutzerkontos eine Bestellung zu tätigen. Für das Hinterlegen von Kreditkartendaten und die Auswertung von Bestell-Historien zu Werbezwecken stellt sich die DSK sogar eine Einwilligung vor. Wir regen an, Ihren Shop in Bezug auf diese Aspekte nochmals zu prüfen. Papiere der Datenschutzkonferenz sind weder Gesetze noch Rechtsverordnungen. Allerdings ist einerseits damit zu rechnen, dass eine Aufsichtsbehörde in einem Verfahren entsprechend dem Positionspapier entscheiden wird und andererseits, dass die Aufsichtsbehörden sich dem Thema vertieft widmen werden.

Wir sind Profis im E-Commerce und im digitalen Recht zuhause. Gemeinsam mit Ihnen analysieren wir Ihre Situation und finden eine praktikable Lösung  für Ihre ganz persönlichen Herausforderungen. Dabei hatten wir nicht nur die rechtliche Seite im Blick. Ebenso wichtig ist es, Ihre Mitarbeitenden „mitzunehmen“ und nicht nur mit Richtlinien, sondern nur mit deren Bedeutung vertraut zu machen. Nur so können Sie sich vor Abmahnungen, Haftungsfällen, Bußgeldern und letztendlich Gefahren für Ihren Geschäftsbetrieb effektiv schützen und für die Zukunft vorsorgen. Sprechen Sie uns an. Wir sind gerne für Sie da.

Über den Verfasser: Thomas Brehm ist Externer Datenschutzbeauftragter TÜV, ein Kenner der neuesten Entwicklungen des Datenschutzrechts und Partner bei BBS Rechtsanwälte Hamburg.