OLG Frankfurt a. M. : Softwareentwicklung als Dienstvertrag
Urteil zur Auslegung eines IT-Projektvertrages
Im Bereich der Softwareentwicklung gibt es traditionell 2 Möglichkeiten der Vertragsgestaltung:
Werkvertrag:
Der Entwickler schuldet den Erfolg, d.h. die Lieferung einer funktionsfähigen Software, die die vertraglich definierten Anforderungen erfüllt.
Beispiel: Entwicklung einer maßgeschneiderten SaaS-Lösung mit festem Pflichtenheft.
Dienstvertrag:
Geschuldet wird eine Arbeitsleistung (z.B. Programmiertätigkeit) ohne Erfolgsgarantie.
Beispiel: Allgemeine Softwarepflege oder agile Entwicklungsmethoden wie SCRUM, bei denen das Endergebnis flexibel angepasst wird.
Der Dienstvertrag hat gegenüber dem Werkvertrag bei der Softwareentwicklung für den Auftragnehmer mehrere Vorteile, insbesondere hinsichtlich Flexibilität und Haftung.
Diese Vorteile sind
1. Flexibilität in der Aufgabenstellung
Der Dienstvertrag eignet sich besonders für agile Entwicklungsprojekte oder Tätigkeiten, bei denen sich die Anforderungen während der Projektlaufzeit ändern können. Ein Endprodukt muss nicht im Detail definiert werden, was Anpassungen erleichtert.
2. Keine Erfolgshaftung
Beim Dienstvertrag schuldet der Entwickler nur die Erbringung einer Tätigkeit, nicht aber den Erfolg eines bestimmten Ergebnisses. Dies reduziert das Haftungsrisiko des Entwicklers erheblich, da er nicht für Mängel oder das Scheitern des Projekts verantwortlich gemacht werden kann.
3. Einfache Abrechnung
Die Vergütung erfolgt in der Regel nach Aufwand (z.B. Stunden- oder Tagessätze). Dies erleichtert die Abrechnung, insbesondere bei längerfristigen Projekten ohne klar definiertes Ziel.
4. geeignet für wiederkehrende Aufgaben
Der Dienstvertrag ist ideal für wiederkehrende oder fortlaufende Aufgaben wie Wartung, Updates oder kleinere Anpassungen von Softwarekomponenten, bei denen kein bestimmtes Endprodukt gefordert wird.
5) Geringer Planungsaufwand
Da kein detailliertes Pflichten- oder Lastenheft erforderlich ist, entfällt der hohe Planungsaufwand, der bei Werkverträgen erforderlich ist. Dies spart Zeit und Kosten in der Vorbereitungsphase.
Einschränkungen des Dienstvertrages für den Auftraggeber
Für den Auftraggeber kann die Gestaltung als Dienstvertrag nicht unerhebliche Nachteile mit sich bringen, wie z.B. ein höheres Risiko unkalkulierbarer Kosten und die Notwendigkeit einer engeren Überwachung der erbrachten Leistungen. Da beim Dienstvertrag kein bestimmter Erfolg geschuldet wird, trägt der Auftraggeber das Projektrisiko. Zu deutsch: auch wenn die das Ergebnis nicht „passt“ muss gleichwohl bezahlt werden. Der Auftragnehmer haftet nicht für das Nichterreichen eines bestimmten Erfolges. Beim Werkvertrag hingegen entsteht der Vergütungsanspruch des Softwareunternehmers erst nach Abnahme des fertigen Werkes.
Es ist daher typisch, dass sich bei Problemen in IT-Projekten der Auftraggeber auf einen Werkvertrag beruft, während der Auftragnehmer „nur“ einen Dienstvertrag behauptet.
Ob ein Werk- oder Dienstvertrag vorliegt, muss dann häufig durch Auslegung ermittelt werden. Die reine Bezeichnung des Vertrages alleine ist dabei nur ein Indiz, aber nicht allein entscheidend.
Das OLG Frankfurt OLG Frankfurt a. M. (10. Zivilsenat), Urteil vom 19.12.2024 – 10 U 201/22 hatte zu entscheiden, ob ein Vertrag als Dienstvertrag oder als Werkvertrag anzusehen ist.
Im konkreten Fall entschied das Gericht, dass der zwischen einem IT-Dienstleister (Klägerin) und einem Personalberatungsunternehmen (Beklagte) geschlossene Vertrag als Dienstvertrag und nicht als Werkvertrag zu qualifizieren sei. Die Beklagte verlangte einen Teil der bereits gezahlten Vergütung zurück, da die Klägerin die geschuldeten Programme nicht funktionsfähig übergeben habe. Das Landgericht wies sowohl die Klage als auch die Widerklage ab und stellte fest, dass die Vergütung auf Stundenbasis vereinbart und eine Abnahme nicht erforderlich gewesen sei. Ein Schadensersatzanspruch wegen unwirtschaftlicher Betriebsführung bestehe nicht, da es eine solche Pflicht im Dienstvertragsrecht nicht gebe. Konkret stellte das Gericht fest:
Der Beklagten dürfte ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Vergütung nicht unter dem Gesichtspunkt zustehen, dass es sich um Abschlagszahlungen handelte, die – ähnlich wie bei überzahlten Abschlagszahlungen – mangels Werklohnanspruchs rückforderbar wären.Denn die geleisteten Zahlungen dürften selbst bei Unterstellung eines Werkvertrags keine Abschlagszahlungen darstellen. Die Parteien haben eine Vergütung nach Zeitaufwand und eine entsprechende Fälligkeit schon vor einer etwaigen Abnahme durch die Beklagte vereinbart. In Ziff. 2 des Vertrags ist geregelt, dass die Vergütung nach Bestätigung des Kunden sowohl im Hinblick auf Zeitaufwand als auch auf die ordnungsgemäße Leistungserbringung fällig ist. Damit sind zeitabschnittsweise Teilzahlungen und gerade keine Vorschusszahlungen auf einen mit Schlussabrechnung geltend zu machenden Werklohn vereinbart. Damit ist zweifelhaft, ob eine Rückzahlung wegen nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung vor diesem Hintergrund überhaupt in Betracht kommt. Jedenfalls dürfte angesichts dieser Regelungen die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Arbeiten nicht vertragsgemäß erbracht sind, die Beklagte treffen. Allein das Ausbleiben des Erfolgs dürfte nicht zur Rückforderbarkeit des vollständigen Werklohns führen. Denn Planungsleistungen in IT-Projekten haben auch dann einen Wert, wenn das Projekt nicht vollständig zur Ausführung gelangt (s. OLG Koblenz, Urteil vom 12.11.2015, 1 U 1331/13, Ls 3 und Rnr. 114 a.E. – 117).
Ungeachtet dessen dürfte kein werkvertraglicher Anspruch auf Rückzahlung der Vergütung bestehen, da es sich nicht um einen Werkvertrag handeln dürfte: Mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung des Vertrags dürfte das Landgericht diesen wohl zu Recht ausnahmsweise als Dienstvertrag qualifiziert haben. Über die bereits vom Landgericht erwähnten Argumente hinaus (insbes. mehrfache Verwendung des Begriffs „Dienstleistungen“, Stundenvergütung, Vertragsende mit Zeitablauf) ist noch die von beiden Seiten einzuhaltende Kündigungsfrist (Ziff. 4.2 i.V.m. Anl. 1: 28 Tage) anzuführen, während im Werkvertragsrecht der Besteller gem. § 648 BGB jederzeit kündigen kann. Außerdem ist zu bedenken, dass sich die Rechtsprechung, die bei Software-Entwicklung einen Werkvertrag annimmt, auf die Entwicklung einer kompletten Software bezieht, während hier Vertragsgegenstand jeweils die Entwicklung einer Schnittstelle war. Letztere zeichnet sich durch die Ermöglichung der Kommunikation zweier Softwareanwendungen untereinander aus, so dass hier eher ein Scheitern – und damit ein Interesse des Auftragnehmers, nur nach Dienstvertragsrecht zu haften – in Betracht kommt als bei der Entwicklung einer eigenständigen Software als neues, geschlossenes System. Eine Beweiserhebung durch Vernehmung des Zeugen Z dürfte entbehrlich gewesen sein, da als wahr unterstellt werden kann, dass Aufgabe der Klägerin die Erstellung der Schnittstellen war; aber dennoch nicht als „Erfolg“, sondern als „Bemühen“.
Zusammengefasst stellte das Gericht für den konkreten Fall fest:
Keine Abschlagszahlungen:
- Die geleisteten Zahlungen werden nicht als Abschlagszahlungen betrachtet, auch nicht bei Annahme eines Werkvertrags.
Vergütung nach Zeitaufwand wurde vereinbart, fällig vor einer möglichen Abnahme. - Es handelt sich um zeitabschnittsweise Teilzahlungen, nicht um Vorschusszahlungen auf einen Werklohn.
Beweislast:
- Die Beklagte trägt die Beweislast für nicht vertragsgemäß erbrachte Leistungen.
Ausbleiben des Erfolgs allein rechtfertigt keine vollständige Rückforderung. - Wert der Leistung: Planungsleistungen in IT-Projekten haben auch bei unvollständiger Ausführung einen Wert.
- Einordnung als Dienstvertrag: Das Landgericht qualifizierte den Vertrag als Dienstvertrag, was als korrekt angesehen wird.
Gründe: Verwendung des Begriffs „Dienstleistungen“, Stundenvergütung, Vertragsende mit Zeitablauf, beidseitige Kündigungsfrist. - Entwicklung einer Schnittstelle spricht eher für Dienstvertrag als für Werkvertrag.
- Rechtliche Konsequenzen: Kein werkvertraglicher Anspruch auf Rückzahlung der Vergütung.
Bei einem Dienstvertrag schuldet der Auftragnehmer nur ein „Bemühen“, keinen spezifischen Erfolg.
Gerade bei Entwicklungsprojekten entscheiden oft Nuancen über „Wohl und Wehe“ oder über „Projektruine“ und Fehlinvestition. Eine gute Vertragsgestaltung muss sich daher hier nicht nur an der technisch „richtigen“, sondern vor allem an der juristisch „guten“ Formulierung orientieren. Das Fatale dabei: Erst im Streitfall stellt sich heraus, wie der Vertrag zu lesen ist. Ungeprüfte Verträge sind daher bei IT-Projekten oft der Weg in einen unangenehm endenden Blindflug. BBS Rechtsanwälte steht Ihnen mit viel Erfahrung und unternehmerischem Weitblick bei der Durchsetzung Ihrer Interessen zur Seite. Sprechen Sie uns an!